Am 24. September habe ich an meiner ersten Archivtagung teilgenommen, und zwar am
37. österreichischen Archivtag in
Krems. Da ich ja von der Ausbildung her keine Archivarin, sondern Bibliothekarin bin, ist mein Bericht eindeutig aus der Sicht der Newcomerin zu verstehen. Vielleicht hab ich also manches nur falsch verstanden - ich nehme daher gerne Feedback von archiverfahrenen LeserInnen entgegen. Die Diskussionsthemen kamen mir jedenfalls aus dem Bibliothekswesen durchaus bekannt vor. - Zunächst ist mir der enorme Unterschied in Dauer und TeilnehmerInnenzahl zum Bibliothekar*tag aufgefallen. Der Archivtag dauert nur einen Tag, direkt anschließend findet der mehrtägige
Historikertag statt. Aber wenn ich mich richtig erinnere, haben früher bibliothekarische Tagungen immer wieder im Rahmen von Philologenkongressen stattgefunden, und es wurde die Frage gestellt, ob wissenschaftliche Bibliothekare Philologen sein sollen.
Der erste Programmpunkt war ein Workshop über Records Management, der nur auf Einladung besucht werden konnte, aber das ist ohnehin im Moment kein Thema für mich.
Den Eröffnungsvortrag "Der Wert archivalischer Quellen - aktuell oder doch nicht?" hielt Martin Scheutz, ao.Prof. am Institut für Geschichte der Universität Wien. Ehrlich gesagt ließ mich das Referat etwas ratlos zurück, und ich bin froh, dass der Vortragende zum Schluss zusammengefasst hat, was er uns eigentlich sagen wollte. Zunächst stellte Scheutz Bauten des Schweizer Architekten Peter Zumthor vor, wie die Gedenkstätte für Hexenverbrennung im nordnorwegischen Vardø, die Zumthor gemeinsam mit der Künstlerin Louise Bourgeois gebaut hat. Das Gebäude wirkt wie ein Kajak, der in eine Holzkonstruktion eingebettet ist, und symbolisiert so die lokalen Traditionen Fischfang und Fischtrocknung. Erwähnt wurde in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "boshaftes Gedächtnis" (ich hatte mir den Urheber des Begriffs nicht gemerkt, aber dank Archivalia und dem Archiv der Mailingliste Hexenforschung weiß ich nun wieder, dass er vom Volkskundler Karl-Sigismund Kramer stammt).
Danach berichtete Scheutz von der NÖ Qualitätsoffensive für Gemeindearchive. Als positives Beispiel wurde das Stadtarchiv Zwettl vorgestellt: Transkriptionen der Ratsprotokolle wurden online gestellt, die Schriftenreihe Zwettler Zeitzeichen mit Bänden wie "Geschlechterrollen im Zwettl der Frühen Neuzeit" oder "Jüdisches Leben in Zwettl" ins Leben gerufen.
Dann stellte Scheutz die Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung" vor, und zwar jeden. einzelnen. Band. von. neun. Um zu zeigen, wie verschiedenartig die Quellen sein können, mit denen sich die Geschichtswissenschaft beschäftigt, hätten drei sicher auch gereicht. Zum Schluss zitierte er Lessing, dass ein Archivar nicht dazu da sei, jedem Esel das Heu auf die Raufe zu stecken.
Die Aussage des Moderators, dass es ja normalerweise nach einer Keynote nicht üblich sei, Fragen zu stellen, aber wenn jemand unbedingt wolle, könne er/sie ja, führte wie erwartet nicht wirklich zu einer Diskussion ;-)
Die nächste Vortragende war Eva Blimlinger [Disclaimer: Blimlinger ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats für das Grüne Archiv, was aber meinen Bericht meiner Meinung nach nicht beeinflusst], der Vortrag trug den Titel "'Digital-analog' - das Digitalisat und der Akt in Forschung und Lehre". Blimlinger verglich, wie sich das Thema Reproduktion / Digitalisierung in der Benutzungsordnung des Österreichischen Staatsarchivs in den letzten Jahren entwickelt hat, zum Beispiel in Hinblick auf das eigenständige Photographieren, u.a. für die Lehre. Sie betrachtete die Kritik und große Skepsis der Archive gegenüber der Digitalisierung als nicht nachvollziehbar und forderte eine Open-Access-Politik und den freien Zugang zu Quellen unter freien Lizenzen. Die Ausgangsquelle solle dabei aber unbedingt erhalten bleiben, nur das Digitalisat aufzubewahren, sei eine fatale Vorgangsweise, da keine Reproduktion das Original ersetzen könne. Die Lehre dürfe sich nicht nur auf "desk research" stützen, es sei auch erforderlich, die Studierenden zu Archivbesuchen anzuhalten und ihnen Quellenkritik - bei "physischen" ebenso wie bei digitalen Quellen - beizubringen. Schlusssatz: "Nicht nur das Staatsarchiv, auch das Internet ist ein Archiv".
Bei der Diskussion fühlte ich mich bei zwei Aussagen wieder stark ans Bibliothekswesen erinnert: 1. Man könne ja nichts unter freie Lizenzen stellen, weil dann könnten ja auch Firmen damit Geld verdienen. Abgesehen davon, dass es ja auch NC-Lizenzen gibt: warum sollen die Firmen das auch nicht, wenn es die Archive nicht selber tun. Auch in der dort erwähnten PublicSectorInformation-Richtlinie ist die kommerzielle Verwendung ein wesentlicher Punkt. Erinnert mich auch ein bisschen an Museen, die das Photographieren auch ohne Blitz verbieten, aber keine Postkarten von den Objekten anbieten, die man ja gerne kaufen würde, weil sie im Normalfall eh viel besser sind als die eigenen Bilder mit Handy oder Pimperlkamera. 2. Man sei auf die Einnahmen aus Reproduktionen angewiesen. Wenn ich jetzt an meine Bibliothekserfahrungen zurückdenke, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir die Auftragskopien / -scans zu einem annähernd kostendeckenden Preis anbieten hätten können, das wäre für die BenutzerInnen viel zu teuer gewesen.