Seit heuer heißt meine Kolumne in den
Büchereiperspektiven "Die Bibliothek vor ... Jahren". Hier Ausgabe 1.
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Katy Tresedder: Reading. Flickr, CC-BY-NC-ND |
Guten Abend, es ist der 4. April 2116, und hier spricht Robo-Mod BibX6FY, Ihre automatische Moderatorin am Spartensender "Bibliotheken einst und jetzt". Wie immer werden unsere Sendungen direkt in Ihren Gehirnchip übertragen - danke, dass Sie an uns denken! Heute beschäftigen wir uns mit dem Bibliothekspersonal - Sie sich vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der der bibliothekarische Beruf Frauen nicht offenstand? Ja, Sie haben richtig gehört.
Fragen wir doch jemanden, der es genau wissen muss. Wir sind über unsere Zeitleitung direkt mit Bibliotheksdirektor Hans Müller im Jahr 1916 verbunden.
BibX6FY: Herr Müller, gehen wir in medias res: Wie hoch ist denn der Anteil an Bibliotheksdirektorinnen in Ihrer Zeit?
Müller (lacht): Direktorinnen? So weit wollen wir doch nicht gehen. Es gibt in den Bibliotheken aber eine Fülle von Arbeit, für die das weibliche Personal sich gut eignet: bei den Zugangsverzeichnissen, im Signierdienst, in der Ausgabe, beim Kollationieren antiquarischer Erwerbungen, beim Verzetteln etwa deutscher, englischer Schriften, überall ist es unter einigermaßen verständiger Leitung gut verwendbar.
B1126FY: Ich verstehe nicht ganz — Sie unterscheiden bei der Postenvergabe nach Geschlecht?
Müller: Natürlich! Was denken Sie denn? Ich möchte besonders die Verwendbarkeit da Frauen für den mittleren Dienst hervorheben und zugleich betonen, dass Damen auch in pekuniärer Beziehung viel leichter zufrieden gestellt werden können als männliche Arbeitskräfte; desgleichen sind ihre Kenntnisse auf dem Gebiete der modernen Sprachen und Literatur wie auch ihr Taktgefühl im Verkehr mit dem Publikum ein nicht geringer Vorzug. Gerade für den Dienst an den kleineren Bibliotheken mit beschränkter Selbstständiglceit sind in erster Linie Frauen berufen, die ihre Lebensarbeit ausschließlich dem bibliothekarischen Berufe widmen und nicht allzu hohe Gehaltsansprüche stellen.
BibX6FY: Und die Frauen des 20. Jahrhun-derts beschweren sich nicht über diese Ungleichbehandlung?
Müller: Wenn Sie so fragen — die armen Damen klagen Stein und Bein über die jämmerliche Besoldung.
BibX6FY: Sie lobten den Umgang mit den Benutzerinnen und Benutzern...
Müller: Der Verkehr mit den entleihenden Studenten ist entfernt von etwa zu vermutenden Auswüchsen galanter Art.
BibX6FY: Herr Direldor, herzlichen Dank für diese Einblicke in die Vergangenheit, die uns nachdenklich zurücklassen.
Anmerkung: Die Antworten basieren auf Zitaten verschiedener Autoren aus der deutschen Bibliothekszeitschrift "Centralblatt für Bibliothekswesen" um 1900.