Friday, August 17, 2018

Ein Jahrhundert Bibliothek. Kolumne 2/2018: Stempel

Die zweite Ausgabe meiner Kolumne "Ein Jahrhundert Bibliothek" in den Büchereiperspektiven widmet sich dem Stempel. Im Original-Layout hier abzurufen.

Wäre das eine Kolumne für G'schichtln und nicht für Geschichte, würde ich jetzt erzählen, wie es geschehen konnte, dass ich bei meinem allerersten Bibliothekspraktikum einen Muskelkater vom Stempeln bekam. So muss ich mich dem Stempel als bibliothekarischem Werkzeug ersten Ranges wohl von einer anderen Seite nähern.

Der Stempel ist ein deutlich sichtbarer Eigentumsvermerk, der Vorgang des Stempelns an festgelegten Stellen somit ein wichtiger Schritt in der Medienbearbeitung und ein wesentlicher Beitrag zur Diebstahlssicherung. Dennoch fiel und fällt es einigen BibliothekarInnen schwer, besonders schöne Bücher, Plakate oder Handschriften durch einen Stempel zu verunzieren. Deswegen verordnete im Jahr 1884 der französische Unterrichts- und Kunstminister Armand Fallières den Bürgermeistern seines Landes, für die sorgfältige Stempelung in der jeweiligen Stadtbibliothek zu sorgen: "Es erscheint mir angebracht und dringend nötig, Ihre lebhafteste Aufmerksamkeit auf die Stempelung der Ihnen anvertrauten Dokumente zu lenken. Gewisse Bibliothekare befinden sich allerdings in dem schweren Irrthum, dass sie der Stempelung das besondere Interesse nicht schenken, welches diese ausserordentliche Eigentumsgarantie erheischt; es ist aber von grosser Wichtigkeit, dass sie die Vorteile derselben besser erkennen, und Sie besitzen die Machtvollkommenheit, sie diesen Bibliothekaren zu zeigen." Auf die ästhetischen und konservatorischen Bedenken antwortet er: "Einige Bibliothekare sagen, diese Massregel schädige die Documente, und verwerfen unter diesem Vorwande die Anwendung. Der Vorwand kann nicht gelten, besondere bei der Vorzüglichkeit unserer heutigen Stempel, denn ein geschickt angebrachter verunziert durchaus nicht, dagegen bietet die Stempelung so ernste Vortheile, dass man einzelne Unzuträglichkeiten, wenn sie in Wahrheit existierten, übersehen müsste" (Übersetzung erschienen im Neuen Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekwissenschaft 1885, Orthografie original). Das stimmt auch heute noch im Wesentlichen, sofern man auf die Verträglichkeit der Stempelfarbe achtet.

Fiktive Bibliothekarinnen haben übrigens als Attribut mindestens so oft einen Stempel wie einen Dutt. Mrs. Beamster aus dem Kinderbuch "The librarian from the black lagoon" hat sogar einen "überfällig"-Stempel auf ihren Schuhsohlen. Würden Sie bei der aus der Rateshow "Was bin ich" bekannten Frage nach einer "typischen Handbewegung" auch mit Stempeln antworten?

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