Monday, July 12, 2004

In den "Salzburger Nachrichten" vom 2. Juli 2004 war ein Interview mit der Historikerin Brigitte Hamann zu lesen, in dem sie sagt:
"Karl Kraus bleibt als Anti-Kriegs-Herold sehr wichtig. Er hatte aber auch seine Eigenheiten. Mir liegt besonders Alice Schalek am Herzen, die er fürchterlich verhöhnt hat als das Kriegsweib schlechthin. Aber Sie müssen einmal die Reportagen der Schalek von der Isonzo-Schlacht oder von der Ostfront lesen. Das sind die besten Kriegsreportagen, die ich je gelesen habe. Wenn man sich dagegen anschaut, was die Leute vom Kriegspresse-Quartier geschrieben haben, die in ein Offiziers-Kasino geschickt wurden und dann etwas geschrieben haben über die Gräueltaten der Feinde, sehen die Reportagen der Schalek einzigartig aus. Sie war wochenlang allein als Frau an der Front am Isonzo und hat den Alltag gekannt. Sie hat wahrheitsgetreue Reportagen geschrieben und das war Karl Kraus auch wieder nicht recht."

Das machte mich neugierig - war sie jetzt "so" oder nicht? - deswegen las ich letzte Woche den Sammelband "Tirol in Waffen" aus 1915, da ich bisher immer nur über Schalek gelesen hatte, aber nie etwas von ihr. Ich möchte ihr durchaus zugute halten, dass die Reportagen wirklich spannend geschrieben sind [That Alice Schalek certainly can write!] und dass ihre männlichen Kriegsberichterstatter-Kollegen um nichts besser waren, aber jedenfalls nach den ersten paar Seiten kam ich aus dem Kopfschütteln kaum mehr heraus. Im folgenden möchte ich zur Illustration einfach einige Passagen aus dem Buch zitieren:
"Romantischer als die Etappenstation kann sich der anspruchsvollste Kriegsberichterstatter die Szenerie nicht wünschen und den Kulissen entsprechend sind auch die Gespräche" (S. 35/36).
"Das Herz blutet mir oft und wie von Sinnen bin ich, denke ich über dies alles nach. Aber wenn ich auf einem Stützpunkt stehe und das ungeheure Verteidigungswerk überschaue – wahrlich, die fabelhaftesten Augenblicke sind das in meinem Leben" (S. 48)
"Oben auf einem Joch fühle ich zum erstenmal etwas wie Genugtuung über die Verwandlung eines Dolomitenhotels in ein Militärquartier. Wie verächtlich hatte seinerzeit der vornehme Wirt uns Bergsteiger abgefertigt… und da wir nicht nur schäbig aussahen, die wir durchnäßt und zerzaust von der Marmolata kamen, sondern auch Deutsch sprachen, wurden wir in Bodenkammern gesteckt und bei Tische nicht ordentlich bedient. ... Wo ist jetzt der welsche Hotelier? Spurlos verschwunden. Ah! Das tut wohl!" (S. 63)
"Gesund und ehrlich und wunderbar hart hat der Krieg die Menschen gemacht. (...) Nennt es Vaterlandsliebe, ihr Idealisten; Feindeshaß, ihr Nationalen; nennt es Sport, ihr Modernen; Abenteuer, ihr Romantiker; nennt es Kraftgefühl, ihr Seelenkenner: ich nenne es freigewordenes Menschentum" (S. 72/73)

Literaturhinweise:
- Alice Schalek: Tirol in Waffen. Kriegsberichte von der Tiroler Front. München: Hugo Schmidt-Verl. 1915. "Herrn Generalmajor Maximilian R. v. Hoen, dem Chef des Kriegspressequartiers, in Verehrung und Dankbarkeit zugeeignet von der Verfasserin" [UB Wien, Signatur I 415.397]
- Nachzulesen in Auszügen auch bei Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit. Suhrkamp 1986 [div.Bibl.]
- Marie Röbl: "Von Samoa zum Isonzo. Die Fotografin und Reisejournalistin Alice Schalek (1874 - 1956). Rezension der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien, 09.11.1999 – 30.01.2000". In: Camera Austria 70/2000, S. 83f. [online] - gesteht Berechtigung der Schalek-Kritik zu, schreibt aber auch, Kraus habe ein konservatives, patriarchales Frauenbild
- Bernhard Grundner: "Das haben se gut getroffen". Zur Darstellung der Kriegsberichterstatter und ihrer Berichte in Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit". Universität Graz, Dipl.-Arb., 1991
- Ursula Bachinger: Alice Schalek - Feministin (?), Kriegsberichterstatterin (?), Revolutionärin (?). Universität Salzburg, Dipl-Arb., 1990 - interessante Passagen über Schaleks Ehrenbeleidigungsprozess gegen Kraus und ihren Kampf um eine militärische Auszeichnung

Wie war das noch mit Kraus' angeblich letzten Worten: "Wem hab ich jemals Unrecht getan?"

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