"Auf einem der denkwürdigen Bankette, die zu Ehren unserer berühmten Polarforscher in beiden Hauptstädten der Doppelmonarchie gegeben wurde, gestand einer der gerechten Seereisenden unter dem Einfluß des die Herzen öffnenden Traubensaftes im Vertrauen ein, man habe versehentlich einen Kameraden auf der Tegethoff zurückgelassen. Einen in Dalmatien geborenen jungen Ungarn namens Pietro Galiba.
Das hatte geschehen können, weil unser Landsmann Dr. Kepes die an Frostbeulen leidenden Hände und Füße des Matrosen so stark mit Frostbalsam eingerieben hatte, daß hiervon nicht nur dessen Hände und Füße einschliefen, sondern auch er selbst.
Zu seinem Unglück hatte der Schiffsfähnrich keine Kerze, als er die Namen der Aussteigenden registrierte. So gelangte Pietro Galibas Name irrtümlich nicht auf die Liste, und als sie am nächsten Morgen verlesen wurde, erklang ein 'Hier' weniger als sonst.
Später erst, als er sich am fünften Tag zum Frühstück setzte, kam der Kapitän darauf, daß ein Mann fehlen mußte. Was man auf die folgende Weise errechnete:
Man hatte Räucherwürste von einem Meter Länge, die man so verteilte, daß jeder ein Stück abbiß. Jede Wurst war für fünfundzwanzig Mann gedacht. Mehr als vier Zentimeter passen nicht in einem Menschenmund, so daß sich genau ein Meter ergeben mußte. Doch seit sie das Boot bestiegen hatten, beobachtete der Kapitän, daß immer vier Zentimeter Wurst übrigblieben. Dieser Überschuß von vier Zentimetern Wurst deckte das Defizit von einem Mann auf.
Des Vergessenen wegen zurückzukehren wäre vergeblich gewesen, denn der mußte inzwischen unbedingt verhungert und verdurstet sein, da sie nichts zum Essen und zum Trinken an Bord zurückgelassen hatten.
So also verpaßte der brave Pietro Galiba den Zug, was schon ziemlich vielen Leuten passiert ist, die mit der Bahn oder dem Dampfschiff reisten und die Zeit verschliefen.
Zu Hause sagte man dann, er sei gestorben, und seiner Frau zahlte man eine Pension, womit sie sehr zufrieden war".
Monika Bargmann aka library mistress postet über Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Bibliotheken, Archive, Bücher und Datenbanken, Grünzeug, Lesen und Schreiben - vor allem Science Fiction (meistens auf Deutsch, manchmal auf Englisch, seltener auch in anderen Sprachen)
Tuesday, September 15, 2009
Bis zum Nordpol
Der hierblogs erwähnte Katalogisierungsfehler hat dazu geführt, dass ich mich etwas näher mit dem ungarischen Schriftsteller Mór Jókai befasst und dabei entdeckt habe, dass er neben Operettenlibretti auch utopische Romane verfasst hat. Die Lektüre von "Bis zum Nordpol" (Az északi pólusig, 1896) hat mir großen Spaß gemacht, die Bezeichnung "phantastischer Lügenroman" auf dem Klappentext trifft es sehr gut. Darin strandet ein ungarischer Matrose am Nordpol und überlegt als erstes, ob er aus den Eisbären Gulasch machen kann ;-) Wie es dazu kam, kann ich hier wiedergeben, da das Urheberrecht bereits erloschen ist (ich hoffe, dass auch die Übersetzung schon alt genug ist). Ich titiere aus der Ausgabe im Verlag Das neue Berlin, 1989, Übersetzung von Hans Skirecki, ISBN 3-360-00250-4.
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