Thursday, October 01, 2015

Bibliotheken ohne Bücher, Kolumne 1/2015

Seit Beginn 2015 habe ich ja eine neue Kolumne in den Büchereiperspektiven, die "Bibliotheken ohne Bücher" heißt. Hier die erste Ausgabe.

David Silver: "although it hasn't officially launched, the USF seed library is open for business". Flickr, 15. April 2014, CC-BY-NC-SA

Stellen Sie sich vor, Sie waren in einer Bibliothek, kommen aber nicht mit dem neuesten Krimi von Håkan Nesser oder dem aktuellen Film von Kathryn Bigelow, sondern mit Köstlichem Langstiel (Apfel) und Rotem Augsburger (Paprika) aus dem Gebäude. Dann waren Sie wohl in einer Saatgutbibliothek. Hier gibt es keine Ausleihfrist und keine Mahngebühren, dafür bringen Sie am Saisonende einfach neue Samen zurück.
Was steckt dahinter? Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation gingen in den letzten hundert Jahren drei Viertel aller Kulturpflanzen verloren – vor allem durch die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Anforderungen des Handels. Saatgutbibliotheken sind Teil einer Gegenbewegung, die Artenvielfalt sichern und rar gewordene Sorten vermehren will. Während ein Saatgutarchiv die Erhaltung des genetischen Materials als Aufgabe hat und sich normalerweise an ein wissenschaftliches Publikum richtet, steht in einer Saatgutbibliothek der Austausch mit der Öffentlichkeit im Vordergrund.
In den USA gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Saatgutbibliotheken sinnvoll an Öffentlichen Bibliotheken angesiedelt werden können. Was müssen Sie bedenken, wenn Sie selbst eine Saatgutbibliothek gründen und betreiben wollen?

Wer: Es empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit lokalen Einrichtungen wie Gemeinschaftsgärten, Dorferneuerung und ökologisch interessierten Gruppen, zum Beispiel mit dem Verein Arche Noah und heimischen Gärtnereien.
Wo: Die Saatgutbibliothek sollte in einem frei zugänglichen und einladenden Gemeinschaftszentrum, wie es die Öffentliche Bibliothek (hoffentlich) ist, untergebracht sein.
Was: Ein alter Zettelkasten aus Holz mit vielen Laden ist ideal für die Sortierung und Lagerung der vielen verschiedenen Sorten. Dazu kommen die Etiketten, auf denen zumindest Platz für den landläufigen und den botanischen Namen, die Gärtnerin oder den Gärtner sowie Ort und Datum der Ernte sein sollte. Außerdem ist eine Gliederung nach "einfach"/ "anspruchsvoll", "essbar" / "Zierde" und "Obst" / "Gemüse" / "Kräuter" / "Blumen" sinnvoll. In der Pima County Public Library in Arizona werden die Samen übrigens sogar im Online-Katalog erfasst und ausführlich beschlagwortet. Auch gärtnerische Fachliteratur darf nicht fehlen.

Zum Abschluss einer Saison könnten die fleißigen Gärtnerinnen und Gärtner gemeinsam ein Buffet aus dem geernteten Bibliotheksgut genießen.

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