Tuesday, November 24, 2015

Bibliotheken, der Bundeskongress und ich #buko15

Am Wochenende war ich zum ersten Mal Delegierte zum Grünen Bundeskongress, dem höchsten Gremium der Grünen. Zur Info: Der Bundeskongress setzt sich zusammen aus den Delegierten der neun Bundesländer und des "zehnten Bundeslandes", den Abgeordneten des Europaparlaments, des Nationalrats, des Bundesrats, der Landtage, den Regierungsmitgliedern, dem Bundesvorstand der Grünen und dem Bundesvorstand der Grünen Bildungswerkstatt.​ Eigentlich war ich ja dort, um am Stand des Grünen Archivs Werbung für unser Projekt 366xgrün zu machen (dazu demnächst mehr), aber ich sprang dann auch als Ersatzdelegierte für das Burgenland ein, da viele andere verhindert waren. Ich wohne zwar wieder in Niederösterreich, bin aber immer noch im Burgenland politisch engagiert. Was nebenbei bemerkt schon mehrmals zu Dialogen wie diesem geführt hat: Und wo arbeitest Du im Burgenland? - Ich arbeite in Wien. - Ach so, Du wohnst nur im Burgenland. - Nein, in Niederösterreich ;-)

Stand des Grünen Archivs und der Grünen Bildungswerkstatt am Bundeskongress in Villach

Leitantrag Bildung

Eine größere Gruppe brachte den Leitantrag "Bildungsgerechtigkeit schaffen, Chancen eröffnen" ein. Dieses elfseitige Grundsatzpapier wurde zuvor auch in allen Bundesländern diskutiert. Mir ist natürlich sofort aufgefallen, dass das Wort "Bibliothek" völlig fehlte (sagt das mehr über die Grünen oder mehr über den Status des Bibliothekswesens aus?) und der Schwerpunkt - wie auch im Grünen Bildungsprogramm - auf der Schule liegt. Meine Rückmeldung floss in die Stellungnahme der Grünen Bildungswerkstatt ein, und so wurde dann in der überarbeiteten Version im Abschnitt "Bildungsgerechtigkeit" als eine der angestrebten Maßnahmen "flächendeckende, dezentrale Versorgung mit Erwachsenenbildungseinrichtungen und Bibliotheken für den freien und gleichen Zugang zu Bildung" angeführt. Nicht wirklich prickelnd, aber ok, dachte ich zunächst. Aber mit der Zeit wurde ich zunehmend unzufriedener damit. Ich finde, dass EIN Absätzchen von ELF Seiten der Bedeutung, die das öffentliche Bibliothekswesen hat bzw. haben könnte, nicht gerecht wird. Ermuntert von einer Delegationskollegin, habe ich mich dann am BuKo als eine von achtzehn Personen zu diesem Antrag zu Wort gemeldet. Ich möchte meinen Redebeitrag hier gerne wiedergeben (100%ig genau hab ich ihn wahrscheinlich nicht mehr im Kopf).

Wortmeldung

//anfang// Was mir im Leitantrag fehlt: In dem elfseitigen Dokument wird die wichtigste und größte außerschulische Bildungseinrichtung gerade mal so nebenbei erwähnt: die öffentliche Bibliothek. 2014 waren in Österreich fast 900.000 Menschen in einer öffentlichen Bibliothek eingeschrieben, davon 45 Prozent Kinder und Jugendliche1. Sie haben 2014 22 Millionen Medien ausgeliehen (ob sie sie auch gelesen haben, weiß ich nicht, aber ich bin Optimistin)2.
Bibliotheken sind die wichtigsten Bündnispartnerinnen der Schulen bei der Leseförderung. PISA-Gewinner-Länder haben immer auch ein professionelles und gut ausgebautes Bibliothekswesen. Sie leisten soziale und integrative Bibliotheksarbeit. Sie stehen allen Bevölkerungsgruppen offen - unabhängig vom sozialen und ökonomischen Status, von Alter, Geschlecht und Herkunft. Bibliotheken sind einer der letzten Gemeinschaftsorte ohne Konsumzwang3.
Diese wichtige Arbeit beruht aber zu 80 Prozent auf Ehrenamt - das hauptsächlich von Frauen geleistet wird - und hängt vom Wohlwollen der Gemeinde ab. So kam es etwa in einer burgenländischen Gemeinde dazu, dass das Ankaufsbudget der Bücherei aus dem Donauland-Abo des Bürgermeisters bestand: vier Bücher pro Jahr4. Es gibt keinerlei gesetzliche Vorgaben - die einzigen Bibliotheken, deren Existenz gesetzlich vorgeschrieben ist, sind Gefängnisbibliotheken5.
Ich wünsche mir von uns Grünen, dass wir auch hier die Themenführerschaft übernehmen - Bildung ist auch außerschulische Bildung. //ende//

Fußnoten

1: Büchereiverband Österreichs, Statistik Öffentlicher Bibliotheken in Österreich 2014
2: Das bezieht sich auf eine launige Bemerkung von Harald Walser, der bei der Vorstellung des Antrags sinngemäß meinte, als Schuldirektor gehe er davon aus, dass nicht alle Delegierten den Leitantrag gelesen hätten.
3: Büchereiverband Österreichs: Öffentliche Bibliotheken als Menschenrecht; Kribibi: Ziele
4: Was einige offensichtlich als Scherz oder griffige Formulierung verstanden, basiert auf Tatsachen: Ein studentisches Projekt am Fachhochschulstudiengang Informationsberufe hat vor einigen Jahren den Status Quo des burgenländischen Bibliothekswesen erfasst und dabei tatsächlich eine Bücherei gefunden, deren Ankaufsbudget so gestaltet war. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, welche es war, und es spielt auch keine Rolle. Ich hätte auch von der Bibliothek in der Aufbahrungshalle erzählen können ;-)
5: Ich habe 2007 die Diplomarbeit "Bibliotheken in österreichischen Justizanstalten" von Verena Kern betreut, die erfreulicherweise auch online nachzulesen ist. Dabei habe ich viel gelernt. Die Gefangenenbibliotheken sind in §59 des Strafvollzugsgesetzes geregelt: "In jeder Anstalt zum Vollzug von Freiheitsstrafen ist eine Bücherei einzurichten, aus der die Strafgefangenen Bücher und Zeitschriften entlehnen können. Bei der Ausstattung der Büchereien ist auf den Standard öffentlicher Büchereien Bedacht zu nehmen". - Und in den European Prison Rules heißt es: "28.5 Jede Anstalt hat eine angemessen ausgestattete Bibliothek einzurichten, die allen Gefangenen zur Verfügung steht. Sie soll über eine Vielfalt an Büchern und sonstigen Medien verfügen, die sowohl für Unterhaltungs- als auch für Bildungszwecke geeignet sind. 28.6 Die Anstaltsbibliothek soll wenn immer möglich in Zusammenarbeit mit öffentlichen Bibliotheken geführt werden".

Rückmeldungen

Erfreulicherweise habe ich von verschiedensten Leuten sehr positive Rückmeldungen bekommen und - viel wichtiger - auch das Versprechen, sich des Themas bei der Weiterentwicklung des Papiers anzunehmen, da die Arbeitsgruppe "erfolgreich anlobbyiert" worden sei ;-) In einem Mail heißt es zum Beispiel: "die sache mit den büchereien hast du richtigerweise vorgebracht, noch dazu sehr klar und sehr sympathisch für unsere bibliotheken!" Besonders gefreut hat mich, dass mich der frühere Leiter der Stadtbücherei Mürzzuschlag angesprochen hat, der - wie sich rasch herausgestellt hat - bis zu seiner Pensionierung bei Kribibi aktiv war. Er meinte, er habe im Laufe seines politischen Engagements (damals noch SPÖ) schon viele "Brandreden" dieser Art gehalten ;-)

Rückmeldungen auf Twitter

1 comment:

  1. Liebe Library Mistress,
    ich bin nachgerade glücklich, dass Du den Leitantrag um den Bereich Bibliotheken bereichert hast! Als (Drittel-)Koordinator des Arbeitskreises kritischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (KRIBIBI) weiß ich, wie schwierig es ist, Bibliotheken und Büchereien ins öffentliche Bewusstsein zu tragen.
    Was für KRIBIBI besonders wichtig ist - und was das Bibliothekswesen vieler Länder auszeichnet - ist die Zusammenführung der drei derzeit voneinander völlig getrennten Schwestern Öffentliche Büchereien, Schulbibliotheken und Wissenschaftliche Bibliotheken zu einem auf der Basis eines Bibliothekengesetzes organisierten einheitlichen Bibliothekssystem mit spezifischen Aufgaben für die jeweiligen Sparten.
    Ich weiß, dass die Grünen schon mehrmals entsprechende Anträge im Parlament eingebracht haben und wünsche mir sehnlichst, dass Dein Beitrag ein neuerlicher Anstoß sein möge, sich intensiver mit dem Stiefkind Bibliotheken auseinanderzusetzen
    Nochmals herzlichen Dank und
    liebe Grüße
    Nikolaus Hamann

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